1. Mache dir die Welt, wie sie dir gefällt

Wie oft habe ich diesen einen, den selben Satz, in den vergangen Wochen wohl hören müssen.

Dein Leben sollte man haben, heißt es da immer wieder, wenn ich von einer meiner Reisen, meinem Job, einer neunen Bekanntschaft, oder einer neuen Idee berichtete, während meine Freunde wieder einmal nur über den lästigen Alltag im Berufs- und Privatleben klagen.

 

So langsam komme ich in’s Grübeln. Bin ich wirklich eine Ausnahme in der Blase aus Unzufriedenheit, die mich in diesen Tagen scheinbar umgibt? Oder nehme ich die Dinge einfach anders wahr, als all die sich ständig beschwerenden Menschen um mich herum? 

Schwer zu sagen, denn manchmal ist diese eine selbe Welt, in der wir uns zu leben meinen, nicht die, die sie zu schein glaubt. Es ging doch bestimmt jedem schon ein Mal so, da gibt es eine Sache, die glasklar erscheint. Und doch gibt es jemanden, der die Sache total anders sieht als wir selbst. Ich kann mich noch an ein Phänomen erinnern, dass vor ein Paar Jahren im Internet die Runde machte. Alle fragten nur, und was siehst du? Was meinst du, fragte ich eine meiner Freundinnen, die eines Tages natürlich auch meine Sicht der Dinge hören wollte. Daraufhin zeigte sie mir ein Foto ziemlich schlechter Qualität, auf dem ein gewöhnliches gestreiftes Cocktailkleid zu sehen war. Mit blauen und schwarzen Streifen, das war für mich deutlich erkennbar, aber was sollte daran so erstaunlich sein? Ein stinknormales Bild von einem gestreiften Cocktailkleid, das inzwischen tausendfach kommentiert, geliked und geteilt wurde. Weil es zum Symbol von etwas wurde, was uns immer wieder erstaunt. 

 

Die Wirklichkeit. 

 

Denn für meine Freundin war auf dem Bild kein blau-schwarz gestreiftes Kleid zu sehen, sondern eines, das weiß-goldfarben war. Und das eindeutig. Doch wie konnte das sein? Später las ich in einem Artikel, dass dieser Effekt durch die extrem schlechte Qualität des Bildes und der damit verbundenen Darstellung auf unterschiedlichen Bildschirmen zusammenhing, was für mich jedoch trotzdem nicht die Frage beantwortete, weshalb meine Freundin ein scheinbar anderes Kleid als ich gesehen hatte, und zwar auf ein und dem selben Bildschirm. Heute kann ich es mir nur so erklären:

Meiner Freundin wurde, als sie das erste Mal über ihre Sichtweise des Bildes befragt wurde, ein anderes Bild gezeigt. Nämlich auf einem anderen Bildschirm, auf dem das Kleid scheinbar deutlich gold und weiß erschien. Vielleicht wurde ihr dabei auch schon vor dem Betrachten des Bildes von der Sichtweise ihres Gegenüber berichtet. Jedenfalls setzte sich bei Ihr diese erste Einordnung des Farbschemas fest und das Kleid blieb für sie auch auf ihrem eigenen Bildschirm weiß und gold. Seltsam, möchte man jetzt denken. Wie konnte sie nur so blind und voreingenommen sein. 

Doch ist uns das wirklich so fremd, wie es scheint? 

 

Kennen wir dieses Gefühl etwa nicht, eine Meinung oder ein Gefühl, das wir uns einmal in den Kopf gesetzt haben blind zu übernehmen, egal wer oder was versucht uns Gegenteiliges zu beweisen. Ein gutes Beispiel für blindes Vertrauen sind Beziehungen. Oder wie sieht es dort mit unserer Objektivität aus? Wenn wir auf eine Person treffen, die anders ist als alle anderen, die scheinbar keine offensichtliche Fehler hat, im Gegensatz zum Rest der Menschheit. Kann dort noch Objektivität herrschen? 

Genau wie bei einer besten Freundin, den eigenen Kinder oder auch dem geliebte Haustier. Ja, das geliebten Haustier, eines der schönsten Beispiele, für das, was wir als Wirklichkeit begreifen. Warum eigenen wir uns Hunde, Katzen oder Kaninchen als Besitztum an, füttern und pflegen Sie, erziehen und lieben Sie. Warum nicht Schafe, Schweine oder Hühner? Diese landen nämlich bevorzugt auf unserem Teller. Weshalb behandeln wir manche Rassen der tierischen Spezies als Haustiere, gar als Familienmitglied, lassen sie an unserem Leben, manchmal sogar an unseren Gedanken und Gefühlen teilhaben, während wir andere zu Tausenden in Massentierhaltungsbetrieben zusammenpferchen und so lange mästen, bis sie auf unseren Teller landen. Weshalb unterscheiden wir Menschen, wie die Rassen der Tiere in diejenigen, die schwarze oder weiße Haut haben, Männer oder Frauen lieben oder diejenigen, die auf dem einen oder dem anderen Kontinent leben. 

Vielleicht weil wir in ein System aus Vorstellungen hineingeboren werden, aus dem wir uns nicht befreien können? Das sind doch alles Vorurteile, möchte man jetzt meinen, die treffen auf mich nicht zu, diese Kategorien gibt es bei mir nicht, für mich sind alle Menschen gleich. Doch stimmt das?

 

Unsere Wirklichkeit besteht aus der Summe an Systemen, die  dauerhaft Kategorien bilden. Kategorien, die uns helfen sollen, unsere Wirklichkeit zu ordnen, um ein Zusammenleben zu ermöglichen. Doch wohin führen uns dieses Kategorien? Zu einer Differenzierung zwischen Mensch und Tier, Schwarz und Weiß, Schön und Hässlich, Reich und Arm. Das Tier wird zum minderwertigen Haustier degradiert, der dunkelhäutige Jahrhunderte lang in Sklaverei ausgebeutet, Menschen die nicht dem klassischen Schönheitsideal entsprechen belacht und ausgeschlossen und Menschen besitzen Villen mit goldenen Wasserhähnen, während andere verhungern. 

 Ganz schon fatalistisch, mag man nun denken. Wie soll mich diese Erkenntnis denn auf den Weg zu meinem persönlichen Glück führen? 

Wenn wir uns dies nun fragen, sind wir schon Mal einen Schritt weiter, denn sie haben (hoffentlich) etwas Wichtiges erkannt. 

 

Jene Welt in der wir leben, ist durch uns erdacht, geschaffen und wird immer wieder neu gemacht.
All die paradoxen Probleme, vor die uns unsere scheinbare Ordnung stellt, sind menschengemacht. Wer ist es, der uns sagt, das links wirklich links und nicht rechts, oder oben und unten ist, dass rot wirklich rot und nicht gelb, grün oder blau ist, dass ein Quadrat vier rechte Winkel und ein Kreis einen Umfang von genau 360 Grad hat? Welcher Mensch hat sich ausgedacht, dass der Apfel gerade Apfel und nicht Birne heißt, was schlau oder dumm sein bedeutet und, dass es nur eine wirkliche Wirklichkeit gibt? Das haben wir wohl (oder übel) einigen schlauen Köpfen vor unserer Zeit zu verdanken, die ihren Weg aus der Höhle in das scheinbare Licht der Erkenntnis gefunden haben.

Sie haben dabei jedoch vergessen, dass ihr Tun auch außerhalb der Höhle einen Schatten wirft. Es hat sich im Laufe unserer Zeit ein Bedürfnis zur Beschreibung der eigenen Wahrnehmung manifestiert, dass es möglich machte, die eine wahre Welt zu erschaffen. 

 

Wir denken, nur weil wir in eine Welt voller akzeptierter Bezeichnungen, bestehender Systeme und geltender Normen hineingeboren werden, ist unser eigenes Schicksal bereits besiegelt. Wir  glauben, nur ein einziger kleiner Baum in dem rießigen Urwald zu sein, der sich Planeten Erde nennt.

Wir meinen, dabei ein belangloses Leben zu führen, dass ja eh keinen Menschen beeinflusst, beeindruckt oder verändert. Doch was, wenn wir mehr sind als das. 

Wenn diese eine große Welt, so wie wir sie scheinbar wahrnehmen, gar nicht existiert und wir das Potential besäßen, uns unserer eigene kleine Wirklichkeit zu erschaffen? Eine Wirklichkeit in der wir die Schöpfer unserer eigenen Welt und somit unseren eigenen Glücks sind.

 

Paul Watzlawick, ein renommierter Psychotherapeut und einer der größten Vertreter der Konstruktivismus unserer Zeit, schreibt dazu in einem seiner Werke 

 

Die Fähigkeit, mit relativen Wahrheiten zu leben, mit Fragen, auf die es keine Antworten gibt, mit dem Wissen, nichts zu wissen, und mit den paradoxen Ungewissheiten der Existenz, dürfte dagegen das Wesen menschlicher Reife

und der daraus folgenden Toleranz für andere sein. 

 

Doch was bedeutet das nun? Ist die Fähigkeit, das inzwischen schon Jahrhunderte Jahre alte Wissen darüber, nichts zu wissen, das Patentrezept zum Glück? 

 

Dann hätte sich ein Faust wohl einfach mit seiner eindimensionalen menschlichen Existenz und dem irdischen Wissen über die Welt und ihrer Beschaffenheit zufrieden geben müssen, Menschen hätten nicht zum Mond fliegen brauchen und der Mensch würde wohl immer noch in seiner Höhle sitzen, zufrieden damit, dem eigenen Schatten zuzusehen. Natürlich ist die menschliche Neugier und das Bedürfnis unseren Horizont andauernd mit neuem Wissen, neuen Erkenntnissen und Erfahrungen zu erweitern, genau so Antrieb und Wegweiser zum Glück, wie eben diese Erkenntnis, dass es nicht auf alle Fragen eine Antwort gibt. Dass die menschliche Spezies nicht alles kategorisieren, begreifen und verstehen kann. Dass es scheinbare Tatsachen gibt, die eigentlich keine solchen sind.

Wichtig dabei ist es lediglich, zu begreifen, dass es keinen Fatalismus unserer Existenz gibt. Dass wir alle Möglichkeiten haben. Möglichkeiten zu eigenen Entfaltung, Möglichkeiten zur eigenen Reflexion, Möglichkeiten zur Veränderung. Nichts an unserer Existenz ist in Stein gemeißelt. Selbst ein kranker Mensch, mit der schwärzesten aller Diagnosen hat selbst in der Hand, wie er damit umgeht, ob er sich seinem Schicksal ergibt, den Kopf in den Sand steckt, dem Leben seinen Sinn abschreibt, oder ob er einfach das Beste aus seiner Situation macht, weiterlebt, weiter denkt, fühlt und handelt. Denn all diese menschlichen Eigenschaften sind es, die unsere konstruierte Welt zu dem gemacht haben was sie ist. 

 

Wir selbst leben und erschaffen indem wir denken, fühlen und handeln. Es ist meine eigene Entscheidung, ob ich nach einem langen Arbeitstag nach Hause komme und unzufrieden bin, oder ob ich mich darauf freue, meine Familie, meinen Mann, meine Kinder zu sehen. 

Es ist meine eigene Entscheidung, ob ich meinen Job mache, weil ich glaube ihn machen zu müssen, oder weil ich denke, dass ich dadurch etwas bewirken kann. Ob ich den Menschen in meinem Umfeld mit Freundlichkeit und Neugier begegne, oder mit verschlossenen Augen durch die Welt gehe und nur meine eigenen Probleme sehe. 

 

Sich eine Wirklichkeit zu konstruieren, in der man gerne lebt, bedeutet nicht, die Welt um sich herum auszublenden und eine Blase zu erschaffen, in der alles rosig aussieht. Es bedeutet, mit den eigenen Gegebenheit so umzugehen, dass ich zufrieden sein kann, mit dem was ich habe, was ich bin und was ich tue.

Die meisten Menschen glauben, in eine Welt hineingeboren zu werden, in dem vorherbestimmt ist, wie ihr Leben auszusehen hat. Eine Welt in der man zur Schule geht um einen Job zu bekommen, Menschen trifft um Freunde zu finden, sich verliebt um eine Familie zu gründen, arbeitet um seine Familie zu ernähren und lebt um wieder zu sterben.

 

Solche, sich im Laufe der Zeit manifestierten Konventionen, Sitten und Bräuche machen es uns schwer, uns auf das zu besinnen, was wirklich zählt. Das Problem dabei ist, das eben für jeden etwas anderes wirklich zählt. Für den Einen ist es die Anerkennung, die ich durch meine Arbeit erfahre, für die ich gerne meine Zeit opfere, weil sie für mich das Wichtigste ist. Für eine(n) Andere(n) ist es erst die ihrer Rolle als fürsorgliche, hingebungsvolle Mutter bzw. Vater, die einen richtig erfüllt, weil es für sie oder ihn, ihren Mann/seine Frau und ihre Kinder glücklich zu machen. 

Wichtig ist, zu erkennen, was es für mich ist, das zählt. 

Nicht jede Frau ist dafür geboren, Mutter zu sein, nicht jeder Mann dafür, Anführer oder Alphatier zu sein, nicht jeder braucht eine Familie, oder eine große Zahl an Freunden, um glücklich zu sein. Wir sollten uns einfach von dem Gedanken lösen, etwas sein zu müssen. Unsere Gesellschaft ist prädestiniert dafür, Idealbilder zu erschaffen, die wir als solche gar nicht erst erkennen. 

 

Denken wir nur einmal an die Anfänge unserer Welt zurück, an die ersten Gesellschaften, die auf unserem Planeten lebten und wie sie zu dem wurden, was wir heute Gesellschaft nennen.

Denn schauen wir uns heute die ersten Menschen und deren Umgang miteinander an, würden wir wohl kaum von einer funktionierenden Gesellschaft im Sinne des 21. Jahrhunderts sprechen. Und trotzdem funktionierte diese Form menschlichen Zusammenleben wohl irgendwie, ansonsten hätte sich der Homo Sapiens Neandertalis wohl kaum zur dominierenden Rasse, mit über einer Milliarden Individuen, die unseren Planeten besiedeln und beherrschen, ausgebildet. 

 

Doch sind wir heute die besseren Menschen, leben wir in einer besseren Welt, als es dieser Urmensch vor inzwischen über zweitausend Jahren Menschheitsgeschichte tat? Das bleibt fraglich. Im Gegensatz zu uns lebte dieser Mensch nämlich im  Einklang mit der Natur und tat nur das, was ihn am leben hielt. Er, oder besser gesagt Sie, diese Urmenschheit, lebte ganz einfach eine andere Welt, als die, in der wir heute leben.
Nicht nur, weil andere Umweltbedingungen herrschten, sondern weil das Denken des Urmenschen nicht so komplex und verworren war, wie es das unsere manchmal scheint. Wir können natürlich mit Gewissheit sagen, dass sich der Urmensch keine Gedanken über das eigene Aussehen, die Akzeptanz der anderen oder auch den potenziellen Geschlechtspartner gemacht hat, jedoch musste er sich sicher nicht mit einem solch idealistischen irrationalem gesellschaftlichen Idealbild herumschlagen, wie wir das müssen. Damals musste man sich wohl noch keine Gedanken darum machen, wer die schönste Höhle bewohnte, wer das größte Tier mit nach Hause brachte, oder wer die wohlproportioniertes Frau an seiner Seite hatte. Und wenn doch, dann bleibt uns wohl allein die These, dass der Mensch sich schon mit Beginn der Vergesellschaftung an der Klippe des Abgrundes bewegte. 

 

Doch wie entkommen wir nun dem nahen Abgrund? 

Jegliche Form von Gesellschaft aufzulösen, scheint wohl nicht der rechte Weg zu sein, aber wie wäre es, wenn wir das benutzen, was uns Menschen ausmacht, was uns an die Spitze der Nahrungskette gebracht hat. Das eine Organ, das bei uns (na gut, nicht immer) ausgeprägter hervortritt, als bei jeder anderen Spezies unseres Planeten. Wir könnten unser Gehirn benutzen, und zwar nicht die Hälfte, die es uns möglich macht rationale Entscheidungen zu treffen, denn diese Fähigkeit will ich auch den anderen auf diesem Planeten lebenden Spezies nicht absprechen, sondern die Hälfte, die es uns ermöglicht hat Religionen zu gründen, Gesellschaften zu erschaffen, Imperien zu errichten und schließlich an die Währung des Geldes zu glauben. 

 

Denn das alles gründet allein auf einer einzigen Fähigkeit, die Fähigkeit der eigenen Vorstellungskraft. 

Wir glauben an Götter und Mythen, wir glauben an die Demokratie, an eine Währung,  wir glauben an Landesgrenzen und Nationalitäten.

Was davon wäre noch etwas wert, wenn wir nicht an dessen Existenz glauben würden? Nichts. Und das ist es, was wir uns zu eigen machen können. Wir können eine Welt erschaffen, an die wir glauben. Der Glaube allein versetzt ja bekanntlich schon Berge. 

 

Also warum nicht an eine bessere Welt glauben, denn ohne diesen Glauben wären wohl nicht einmal die Menschen in Platons Höhlengleichnis ihrem Schatten gefolgt. Also was wäre, wenn wir unsere eigener Schatten der Zukunft wären, wenn wir dem Glauben an eine bessere Welt folgen?


Und ich verspreche euch, wenn wir daran glauben, können wir eine Welt erschaffen, die nicht nur wirklich, sondern wundervoll ist. 

 

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