4. Das Glück (zu) genießen

Tun wir es, genießen wir unser Leben?
Gestern habe ich mit einer Freundin telefoniert. Ich habe ihr von meinem Trip am Wochenende erzählt, den ich mit einer anderen Freundin in den Norden Dänemarks unternommen habe. Ich erzählte ihr, wie sehr ich diese kurze Auszeit in der ländlichen Idylle, nach vier Monaten in der Innenstadt Kopenhagens (wo gerade mein Auslandssemester verbringen darf), genossen haben. Also dein Leben würde ich auch genießen, war das Erste, was sie auf meinen ausführlichen Bericht antwortete. Und ich bin mir sicher, dass sie das nicht auch nur einen Moment böse oder missgünstig meinte, sie ist ja schließlich meine Freundin. Doch trotzdem macht mich diese Reaktion stutzig. Denn es ist nicht das erste Mal, dass ich einen Satz wie diesen zu hören bekomme.
Sicher, ich bin bestimmt ein Mensch, der sein Leben ausgiebig lebt und vielleicht sogar ein bisschen inflationär genießt, aber weshalb wirkt diese Form der Lebensführung auf viele Menschen so exotisch? Weshalb genießen wir nicht einfach alle mehr unser eigenes Leben? Weil es scheinbar nichts zu genießen gibt? Oder können wir womöglich gar nicht genießen?

 

Gerade in den letzten Monaten habe ich mich ausgiebig mit der Frage nach der Vereinbarkeit des persönlichen Glücks, was für mich durchaus auch eine Form vom Grundsatz des Genusses der Lebens beinhaltet, und der gesellschaftlichen Teilhabe beschäftigt.
Als ich meine zweite „große Reise“ (auch wenn diese, im Vergleich zu meiner ersten Reise nach Indien, einen deutlich geringeren, sowohl geografischen, als auch kulturellen Kontrast darstellt) antrat, hätte ich nicht gedacht, dass es gerade das ist, was mich an der dänischen Kultur am meisten fasziniert.
Ich bin zwar mit dem Skandinavian Way of Life und der Idee des Hygge bzw. Lykke durchaus vertraut, meine Entscheidung nach Kopenhagen zu gehen, war jedoch eher durch andere Faktoren bestimmt. Ich wollte in eine lebendige Großstadt, die auch kulturell etwas zu bieten hat. Und natürlich erhoffte ich mir auch etwas von der eco-friendliness, für die diese Stadt ja durchaus in den letzten Jahren bekannt geworden ist, zu entdecken und womöglich auch mit nach Hause zu nehmen. 


Achtung: Nun folgt ein kleiner Exkurs zu meinem Verhältnis zu Kopenhagen als „Green-City“, wer sein Glück also nicht unbedingt in einem bewussten Leben mit Menschen und Natur findet, darf gerne den nächsten Absatz überspringen (was ich natürlich sehr schade fände). 

 

Die Stadt, so wie sie sich mir in den letzten Monaten gezeigt hat, kann sich durchaus als eine Green City bezeichnen. Beim Streifen durch die Supermärkte, sogar in den Discountern, fallen sowohl die viele Bio-Produkte, also auch die flächendeckende Vernetzung von foodsharing- und foodsaving-Organisationen auf. Außerdem ist die Dominanz der Radfahrer in der Stadt omnipräsent und die Zahl der Mülleimer auch äquivalent höher, als ich es aus Deutschland kenne. 

Doch genau darin sehe ich eines der größten Problem des sogenannten Green-Washings in Dänemark. Während bei uns Menschen, die im Supermarkt noch zu Plastiktüten greifen, feindlichen Blicken nahezu nicht entkommen können, ist hier eine ganze Flut an Plastiktüten-Liebhabern zu beobachten. Das ist wohl der Recycling-Policy der Dänen geschuldet. Ich weiß nicht, wie viele von euch es wissen, aber in Kopenhagen, direkt am Ufer, steht einer der größten Müllverbrennungsanlagen Europas, der Copenhill. Ein architektonisch wirklich beeindruckendes Gebäude, das nicht nur die komplette Müllmenge Dänemarks, sondern sogar noch importierte Müllmassen verschlingt, um daraus erneuerbare Energie herzustellen.
Natürlich ein guter Ansatzpunkt. Doch sollte eco-friendly nicht aus plastic-less bedeuten? Klar ist, dass der Copenhill nur die Energie erzeugen kann, die durch Müll produziert wird. Jedoch empfinde ich persönlich diese Policy, also die Steigerung der Plastikmüll-Produktion zur Umwandlung in grüne Energie, nicht als zukunftsweisenden Weg der Energiegewinnung. Zumal Kopenhagen eine Stadt mit einer großen Zahl an natürlicher Ressourcen (vor allem natürlich dem Wind) ist.
Dies aber nur als kleiner Exkurs. Ich kann nur jedem von euch empfehlen, sich diese Stadt einmal selbst anzuschauen und sich ein Bild zu machen. Denn obwohl ich diesen Aspekt bewusst kritisiere, kann ich definitiv zugeben, dass ich mein Herz ein Stück weit in Kopenhagen verloren habe und die Stadt für mich immer etwas Besonderes und ein Stück Heimat bleiben wird. 

 

Das Bild ist aus einer Ausstellung im aRos-Kunstmuseum in Aarhus (definitiv sehr empfehlenswert!) und trifft die Botschaft, wie wir mit unserer Erde liebevoll umgehen sollten, ziemlich auf den Punkt. 

Aber nun zurück zum eigentlichen Thema, dem Genießen. Wie komme ich gerade von meiner Auslandssemster-Erfahrung zum Thema Genuss des Lebens?

Nun gut, diejenigen unter euch, die selbst schon einen ERASMUS-Aufenthalt hinter sich haben, werden die Verbindung vielleicht erkennen. Das Auslandssemester bietet nämlich wahrhaftig genug Zeit und Möglichkeiten, das Leben zu genießen. Aber darum soll es hier gar nicht gehen. Denn ich spreche nicht von meiner eigenen Erfahrung, sondern dem, was ich hier um mich herum beobachten konnte. 


Nämlich einen Haufen glücklicher Menschen, die ihr Leben in vollen Zügen (übrigens ein sehr interessantes Sprichwort... ich kenne nämlich nur sehr wenige Menschen, die ihr Leben in vollen Zügen der Deutschen Bahn wirklich) genießen. In Kopenhagen jedoch sehe ich Menschen, die arbeiten gehen, die Kinder haben, die gewissenhaft ihre Jogging-runden absolvieren, die ihre Wohnungen in Schuss halten, den Garten pflegen und trotzdem ihr Leben genießen. Ganz selbstverständlich und ohne jegliche Eile.
Beneidenswert, diese Dänen.
Oder?
Doch wie schaffen sie das, wie bekommen sie all das unter einen Hut? Diese Frage habe ich mit meinen Kommilitonen und Freunden immer wieder diskutiert. Ich persönlich bin zu folgendem Schluss gekommen: sie entscheiden bewusster, unternehmen mehr und machen sich größtenteils frei von dem, was andere für richtig oder falsch halten. Was nicht bedeutet, dass sie keinen Gemeinschaftssinn haben, denn auch dieser scheint mir hier deutlich ausgeprägter zu sein, als in vielen anderen Ländern, die ich bereits bereisen durfte. Das Verhältnis zwischen gesundem Egoismus und dem Bewusstsein, ein Teil der Gesellschaft zu sein, ist wohl das, was den Menschen hier die perfekte Grundlage gibt, ihr(en) pursuit of happiness nicht nur gedanklich zu vollziehen, sondern ihre Zufriedenheit und ihr Glück auch auszuleben.
Was womöglich auch daran liegt, dass sie weniger darüber nachdenken, glücklich zu sein und es einfach sind. Weil sie ihr Glück nicht in utopischen Träumereien suchen, sondern in ihrem Alltag, also in ihren eigenen Leben finden.

Ich glaube, dass die Frage nach dem Glück, ja sogar die Suche danach, nicht von vorne rein zum Scheitern verurteilt ist, sondern, dass es eher das Ziel ist, dass uns oft den Weg zum Glück schon von vorne herein unmöglich macht. Weil wir unser Glück oft an Dingen festmachen, von dene wir meinen, sie konservieren und für immer festhalten zu müssen. 


Ein Auto, ein Haus, eine Familie, eine Job oder eine bestimmte Reise. All dies verbinden wir mit dem Anspruch, dass wir mit dem Anschaffen eines Gegenstandes, beziehungsweise des Erreichen dieses Zustandes den Gipfel unseres Glücks zu erreichen. Doch der Anspruch, den Zustandes des Glückes durch den Konsum vergänglicher Gegenstände und Momente dauerhaft zu erreichen, stürzt uns nur in immer wieder neu entstehende Unzufriedenheiten. Philosophen sprechen deshalb oft von der hedonic threatmill, also einer unausweichbaren Spirale beim Anschaffen von Dingen, die uns einen kurzen Moment des Glücks bescheren, jedoch als Folge nur weitere Wünsche erzeugen, die uns wiederum unglücklich stimmen. 

 

Deshalb sollten wir es uns viel mehr zur Aufgabe machen, aus dieser hedonistischen Tretmühle auszusteigen und unser Glück an Dingen auszurichten, die uns nachhaltig glücklich machen.

Auch das ist ein Moment der Glücks. Ohne Sonne, ziemlich dreckig aber unglaublich glücklich! 

Vielleicht ist Glück gar nichts, was wir dauerhaft begreifen oder besitzen können. Vielleicht ist Glück vielmehr ein flüchtiger Moment, den wir immer wieder neu erleben. Der Moment, nach einem langen Tag nach Hause zu kommen. Im Park oder einem Café zu sitzen und ein gutes Buch zu lesen. Eine wichtige Arbeit endlich einzureichen. Unter Umständen auch, sich etwas leisten zu können. Jedoch sollten wir nie aus den Augen verlieren, das Glück nichts mit Besitz zu tun hat. 

 

Denn genau das ist es, was glücklich sein so schwierig macht. Und genau das ist für mich der entscheidende Punkt. Der Punkt, der uns wieder zurück zum Genießen führt. Denn wenn wir genau diese flüchtigen Moment nicht genießen können, ja wie sollen wir denn dann Glück empfinden? 
Denn erst wenn wir den Moment genießen, in dem wir und nach einer Joggingrunde verschwitzt und zufrieden unter die Dusche stellen, können wir in diesem Moment auch Glück empfinden. Glück und Genuss hängen als untrennbar zusammen. 

Deshalb lasst uns anfangen (mehr) zu genießen! Egal, ob es ein paar nette Worte eines geliebten Menschen, eine Geste, ein gutes Essen oder auch das Erreichen eines unserer Ziele ist.

 

Denn wenn wir beginnen, nicht nur die großen und bedeutenden, sondern auch die kleinen und flüchtigen Momente unseres Lebens zu genießen, dann ist glücklich sein nur noch eine Frage der Frequenz. Denn genießen bedeutet glücklich sein. So einfach kann das sein. 

 

Also genießt mehr und seid glücklich(er)! 

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