6. Gib acht, achtsam zu sein.

Achtsamkeit - ein seltsames Wort. Denn was verbinden wir damit? Wenn ich daran denke, wann mich jemand zur Achtsamkeit ermahnt hat, war das doch oft meine Mutter in den ersten Jahren meines Lebens. Gib acht, wenn du über die Straße gehst. Gib acht, wenn du alleine unterwegs bist. Gib acht, denn überall lauern Gefahren und Menschen, vor denen du dich in Acht geben solltest. Eher seltener hörte ich jedoch: sei achtsam.
Weil Achtsamkeit eben etwas anderes bedeutet. Es bedeutet nicht, sich in Acht zu nehmen, also vorsichtig und vernünftig zu handeln, sonder Acht zu haben. Es drückt kein Gefühl der Angst oder Sorge aus, sondern beschreibt die Bereitschaft, das wahrzunehmen, was um einen herum geschieht. Ganz bewusst und ohne mulmiges Gefühl. So konträr die beiden Phraseologismen gib Acht und sei Achtsam jedoch erscheinen, so nahe stehen sie sich. Die Differenz der Verwendung der beiden Begriffe ist ein Spiegel unserer Gesellschaft. Denn oft bedeutet Achtsamkeit nicht, sich bewusst auf die Begebenheiten der Außenwelt einzulassen und diese wahrzunehmen, sondern sich von diesen Einflüssen leiten zu lassen. So kommt es, dass aus einer bereitwilligen Gabe, die Welt als lebendiger Raum unendlicher Diversität zu begreifen, oft die Acht (bzw. Angst) vor genau dieser Welt entsteht. 

 

Doch wie es der Titel dieses Blogposts bereits andeutet, will ich genau auf diese Kernbedeutung der Achtsamkeit zu sprechen kommen. Und trotzdem bediene auch ich mich der Mahnung des Achtgebens. Denn ich glaube, dass wir oft vergessen, dass wir Achtsamkeit brauchen, um uns selbst und das Leben zu begreifen und so hinzunehmen,  wie es scheint. Wir brauchen Achtsamkeit um unser Leben zu verändern, Dinge in die Hand zu nehmen und uns selbst zu besinnen, was und wie wir sein wollen. Denn jeden Tag, jeden Moment bietet uns das Leben eine Fülle an Möglichkeiten dankbar zu sein, zur Ruhe zu kommen, auf uns zu hören und das Leben zu nutzen. 

Vermutlich kennt ihn jeder. Diesen Moment auf einer langen oder auch kurzen Reise, in auf der wir ganz unvorhergesehen und meist auch total unerhofft etwas Neues, gar etwas vollkommen Unerwartetes erblicken. Wie kann das sein? Dass wir in jenem Moment, an einem uns fremden Ort genau diese eine Begebenheit, dieses eine winzige Teil entdecken, wo wir doch in einer scheinbar neuen Welt voller Eindrücke so viel entdecken könnten? Weil wir achtsam sind. Wir versuchen Eindrücke zu sortieren, sie in uns bekannte Kategorien zu ordnen oder gar Neue zu erschaffen.
Es wichtig, dass wir achtsam sind! Weil uns sonst die Fähigkeit abhanden geht, Neues wahrzunehmen. Schönes zu erleben. Glück zu finden, in den kleinen Dingen. Unrecht zu entdecken, in den großen Dingen. Die Möglichkeit, gar die Notwendigkeit Prioritäten zu setzen. 


Achtsamkeit ermöglicht uns, etwas zu verändern.
Denn wenn niemand achtsam gewesen wäre und wahrgenommen hätte, welches Unrecht George Floyd widerfahren ist (auch wenn es durchaus kritisch zu sehen ist, dass erst ein Video unsere Aufmerksamkeit erlangt) hätten wohl unzählige Menschen einfach weitergemacht. Mit Rassismus, Unrecht und blindem Gehorsam. Doch dieses Beispiel verdeutlicht auch, wie rar Achtsamkeit geworden zu sein scheint. Denn wie kann es sein, dass auf unserem Planeten immer wieder Obdachlose sterben, weil sie niemand weckt, wenn Sie im bitterkalten Park einschlafen? Wie kann es sein, dass immer noch Leute am Corona-Virus sterben, wo doch jeder über die Gefahr, die von ihm ausgeht, Bescheid wissen sollte? Wie kann es sein, dass wir wegschauen? Glück und Unglück an uns vorbeiziehen lassen, obwohl es sich direkt vor unserer Nase befindet? Ich denke: weil wir oft zu unachtsam sind.
Wir leben in unsrem Trott, nehmen Unrecht und Unzufriedenheit in Kauf, weil wir zu bequem sind, uns mit uns und der Welt, wie sie ist, beschäftigen. Weil wir zu müde sind, uns einen Moment für uns zu nehmen. Weil wir glauben, allein mit dem Öffnen unserer Augen offen genug durch die Welt zu gehen. Doch das ist nicht genug. Wir müssen uns immer wieder darauf besinnen, nicht nur unsere Augen, sondern auch den Geist zu öffnen. Neuem zu begegnen, zu hinterfragen, unsere Prioritäten zu ändern. Um Veränderungen zu schaffen. Um Unrecht nicht Unrecht bleiben zu lassen, um Glück nicht verstreichen zu lassen. Denn all das ist so vergänglich. Jeder Moment, in dem wir eine wichtige Lektion des Lebens lernen könnten, kann so schnell vorbeigehen. Die Sonne kann sich so schnell wieder hinter den Wolken verstecken, ohne unser Gesicht getroffen zu haben. Und Fehler lassen sich oft auch nur im selben Moment als solche erkennen und manchmal sogar wieder gut machen.  

 

Alles Geschaffene ist vergänglich. Strebt weiter, bemüht euch, unablässig achtsam zu sein.

 

Dieses Zitat von Buddha trifft genau den Moment, in dem ich euch abzuholen wünsche. Begreift, wie flüchtig Glück, Zufriedenheit, Freude, aber auch Unglück, Unrecht, Gier und Neid sind.
Seid achtsam. Bleibt achtsam.
Nur dann werden wir die Welt begreifen können. Sie vielleicht sogar verändern können. Aber sicher ist: wir können glücklicher sein. Jeder Moment bietet die Chance, Schönheit wahrzunehmen. Dankbarkeit zu verspüren. Zu lieben. Seid achtsam. 

 

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